Diese Website ist eine Aufklärungsseite von BioMarin und richtet sich an Einwohner Europas
Deutsch

Behandlung von Hämophilie

Gentherapie, Prophylaxe mit Faktor-Medikamenten und Nicht-Faktor-Basierte Therapie: Alle Hämophilie-Therapien mit Vor- und Nachteilen.

Die Entscheidung darüber, welche Hämophilie-Behandlung die individuell Beste ist, hängt natürlich von vielen Kriterien ab. Dazu gehören unter anderem der Schweregrad Ihrer Erkrankung und Ihr Gelenkstatus. Aber auch die körperliche Aktivität, persönliche Lebensumstände und -Prioritäten müssen bei der Wahl der Therapie bedacht werden.

In diesem Abschnitt erfahren Sie alles Wissenswerte über die Behandlung von Hämophilie und aktuell verfügbare Therapien. Fühlen Sie sich ermutigt, sich auch mit neuen Optionen zu beschäftigen! Alle Behandlungsmöglichkeiten zu kennen ist der erste Schritt hin zu einer informierten Entscheidungsfindung gemeinsam mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt – damit Sie die Hämophilie-Behandlung finden, die am besten zu Ihnen und Ihren Bedürfnissen passt!

 

Dank kontinuierlicher Forschung und Entwicklung für eine effektive Hämophilie-Versorgung haben Patienten die Wahl zwischen verschiedenen Therapien. Je nach individuellen Gegebenheiten und Bedürfnissen bringt jeder Therapieansatz gewisse Vor- und Nachteile mit sich – wir haben die wichtigsten Fakten für Sie zusammengefasst:

GENTHERAPIE

Gentransfer bei Hämophilie A und B

Wie wäre es, die Ursache der Hämophilie direkt zu behandeln und den Körper in die Lage zu versetzen, selbst Faktor VIII bzw. IX zu produzieren? Die Gentherapie, die seit einigen Jahren für verschiedene Indikationen – darunter auch die Hämophilie – erforscht wird, strebt genau dieses Ziel an: Erwachsene mit schwerer Hämophilie, die sich für die Gentherapie entscheiden, erhalten einmalig eine Infusion mit einem im Labor hergestellten Gen, das die „Bauanleitung“ für den Blutgerinnungsfaktor VIII bzw. IX enthält. Um das funktionsfähige Gen in den Körper zu bringen, nutzt man eine Virushülle (Vektor) als so genannte „Genfähre“. Hierbei handelt es sich um ein Adeno-assoziiertes Virus (AAV), das selbst keine Krankheiten auslösen kann, aber ideale Voraussetzungen als Transportvehikel erfüllt. Es transportiert das funktionsfähige Gen in die Leberzellen, welche danach den Faktor VIII bzw. IX selbst herstellen soll [9,10,11].

Vor Beginn einer Gentherapie muss zunächst abgeklärt werden, ob der Patient dafür geeignet ist. Unter anderem wird die Leberfunktion überprüft und das Blut untersucht. Nach Anwendung der einmaligen Therapie per Infusion sind innerhalb des ersten Jahres regelmäßige ärztliche Untersuchungen nötig. Dabei werden Blut- und Leberwerte überprüft und es wird kontrolliert, wie gut die Therapie anschlägt. Danach werden die Abstände zwischen den Arztterminen wesentlich größer. In den folgenden Jahren wird auf Basis der Faktor-Produktion und etwaiger Blutungsereignisse entschieden, ob eine Rückkehr zur prophylaktischen Behandlung oder zu anderen Behandlungsmethoden nötig wird.

Ziele der Gentherapie bei Hämophilie

Der Ansatz, für genetische Erkrankungen auch eine genetische Lösung zu finden, wird seit mehreren Jahrzehnten umfassend erforscht. Inzwischen sind in verschiedenen Therapiegebieten Gentherapien verfügbar.

Gentherapien verfolgen unterschiedliche Ansätze: Man kann defekte Gene innerhalb der vorhandenen DNA korrigieren (Genomeditierung). Alternativ bringt man eine funktionsfähige Kopie des fehlerhaften Gens in den Körper ein, mit der fehlende Funktionen wiederhergestellt werden (Gentransfer) [6]. Dieses Verfahren kommt auch bei Hämophilie zum Einsatz. Der Vorteil besteht darin, dass das ursprüngliche Genmaterial der Chromosomen unverändert bleibt, und so das eingebrachte Gen nicht an zukünftige Generationen weitergegeben wird [7]. Durch das neue Gen erhält der Körper des Patienten die Anleitung zur Produktion des benötigten Proteins, das den Verlauf der Erkrankung verändern kann.

Vor- und Nachteile einer Gentherapie bei Hämophilie

Erweist sich die Gentherapie für Erwachsene mit schwerer Hämophilie als erfolgreich, könnte der Bedarf an herkömmlichen Therapien – wie die regelmäßige Faktor-Substitution – deutlich reduziert werden. [8].

Eine häufige Nebenwirkung der Gentherapie sind erhöhte Leberwerte, die mit einem Verlust der Wirkung einhergehen können. Dann kann eine Behandlung mit Medikamenten notwendig werden, die das Immunsystem unterdrücken (Kortikosteroide). Um die Leber zu schützen, sollte mindestens ein Jahr nach der Behandlung kein Alkohol getrunken werden. Patienten dürfen sechs Monate lang keinen Samen spenden und sollten für denselben Zeitraum eine Schwangerschaft der Partnerin mittels doppelter Empfängnisverhütung vermeiden. Grundsätzlich kann der Erfolg der Gentherapie von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sein, genauso wie bei allen Medikamenten und therapeutischen Ansätzen.

Weil die Gentherapie bei Hämophilie noch recht neu ist, gibt es bisher erst Daten über einen Zeitraum von bis zu sieben Jahren [19]. Auch in Zukunft werden klinische Studien durchgeführt, um die Langzeitwirkung sowie mögliche Nebenwirkungen im Blick zu halten.

FAKTOR-MEDIKAMENTE

Prophylaxe mit Faktor-Medikamenten bei Hämophilie

 

Zur vorbeugenden (prophylaktischen) Behandlung der Hämophilie mit Faktor-Medikamenten wird der fehlende Blutgerinnungsfaktor regelmäßig intravenös verabreicht – also in eine Vene gespritzt. Weil der Faktor im Blut wieder abgebaut wird, muss die Hämophilie-Behandlung je nach Wirkdauer des Medikaments und in Abhängigkeit verschiedener individueller Kriterien ein- bis dreimal wöchentlich durchgeführt werden. Das Ziel der Prophylaxe ist es, einen Faktorspiegel im Blut von mindestens 5 bis 7 % aufrecht zu erhalten [1]. Auf diese Weise sollen schmerzhafte und oft folgenschwere Blutungen, beispielsweise in Gelenke, Muskeln oder Organe, verhindert werden. Das Spritzen begleitet Hämophiliepatienten bei dieser Therapieform ein Leben lang. In der Regel wird die Behandlung in Eigenregie, bei kleinen Kindern zuerst durch die Eltern, durchgeführt. Eine Prophylaxe mit Faktor-Medikamenten erhalten vorwiegend Patienten mit schwerer Hämophilie. Bei mittelschwerer und leichter Hämophilie wird hauptsächlich nach Bedarf behandelt („on demand“ oder Bedarfsbehandlung). In diesem Fall wird der fehlende Gerinnungsfaktor beispielsweise bei einer akuten Blutung oder präventiv, beispielsweise vor einer Zahnbehandlung oder Operation, verabreicht.

Generell erfordert eine Prophylaxe-Therapie eine gute Mitarbeit und ein hohes Verantwortungsbewusstsein. So müssen die Patienten das Faktor-Medikament regelmäßig selbst intravenös spritzen und dabei verschiedene Aspekte berücksichtigen. Um sicherzustellen, dass bei intensiver sportlicher Aktivität genügend Faktor im Blut ist, sollten sie beispielsweise immer vorher spritzen. Auch auf eine sachgemäße Aufbewahrung ist zu achten, denn Faktor-Präparate müssen teilweise kühl gelagert werden. Auf Reisen gilt es zudem, eine ausreichende Verfügbarkeit der Medikamente zu sichern.

Was sind Faktor-Medikamente – und wie wirken sie?

Ein Faktor-Medikament zur Behandlung von Hämophilie ist ein Präparat, das entweder den aus dem Blut aufgereinigten (plasmatischen) oder den gentechnisch hergestellten (rekombinanten) Faktor VIII bzw. IX enthält. Er ersetzt den Faktor, den Menschen mit Hämophilie nicht oder nicht ausreichend bilden können. Neuere Faktor-Medikamente werden durch verschiedene Technologien so verändert, dass die Wirkung im Körper im Vergleich zu älteren Präparaten länger anhält. Die so genannten Halbwertszeit-verlängerten (EHL) Faktor-Medikamente sollen Patienten entlasten, die Behandlungsintervalle verlängern oder ihnen mehr Sicherheit durch einen höheren Faktorspiegel geben. Als Halbwertszeit bezeichnet man die Zeit, die der Körper benötigt, um den zugeführten Faktor VIII bzw. IX um die Hälfte abzubauen. Diese Zeit variiert nicht nur von Präparat zu Präparat, sondern auch von Patient zu Patient.

Vor- und Nachteile einer Prophylaxe-Therapie

Die regelmäßige prophylaktische Faktorgabe ist aktuell die Standardtherapie zur Behandlung von Hämophilie. Die Präparate können dauerhaft angewendet werden, sind gut verträglich und praktisch frei von allgemeinen Nebenwirkungen [1]. Bei Hämophiliepatienten, die eine Prophylaxe-Therapie durchführen, kommt es deutlich seltener zu spontanen Blutungen in Gewebe und Gelenke als bei der Bedarfsbehandlung.

Untersuchungen zeigen dennoch, dass die prophylaktische Therapie mit Faktor VIII bzw. IX-Medikamenten derzeit nicht in der Lage ist, jederzeit einen zuverlässigen Schutz vor Blutungen zu gewährleisten [16-18]. Hinzu kommt: Die zeitintensive, teils schmerzhafte Routine des regelmäßigen Spritzens kann als belastend empfunden werden. Viele Patienten haben Schwierigkeiten, die Therapie konsequent durchzuführen [3,4]. Zusätzlich belasten die regelmäßigen Spritzen auch körperlich: Häufige intravenöse Injektionen können Venen schädigen, Blutergüsse auslösen und Narben verursachen, was die Suche nach einer geeigneten Vene erschwert. Auch sind mit einer Prophylaxe-Therapie regelmäßige Besuche in Hämophiliezentren, Arztpraxen und Apothekenverbunden.

Eine ernstzunehmende Komplikation bei einer Therapie mit Faktor-Medikamenten ist die Entwicklung von so genannten Hemmkörpern (Inhibitoren). Bei 20 bis 30 Prozent der Patienten [2] kommt es aus bislang nicht vollständig geklärten Gründen vor, dass das Immunsystem Abwehrstoffe gegen den zugeführten Gerinnungsfaktor bildet. Diese heben die Wirkung des Medikaments ganz oder teilweise auf. Die Weiterbehandlung von Patienten mit einem Hemmkörper ist in der Regel schwieriger und mit einem höheren Therapieaufwand verbunden.

ANTIKÖRPER-THERAPIE

Nicht-Faktor-basierte Therapie bei Hämophilie

Die Nicht-Faktor-basierte Therapie, auch Antikörper-Therapie genannt, eignet sich sowohl für Hämophiliepatienten ohne als auch mit Faktor VIII bzw. IX-Hemmkörpern [15]. Der Wirkstoff wird unter die Haut ins Fettgewebe (subkutan) gespritzt. Geeignete Bereiche sind Unterbauch, Oberarm und Oberschenkel. Das Besondere am Wirkstoff dieser Therapieform ist, dass er nicht den fehlenden Faktor ersetzt, sondern ihn in seiner Wirkweise nachahmt. Indem er sich sowohl an den Gerinnungsfaktor IX als auch an den Faktor X bindet, überbrückt er den fehlenden Faktor VIII und sorgt so dafür, dass die Blutgerinnung funktioniert. Da der Wirkstoff der Nicht-Faktor-basierten Therapie anders aufgebaut ist als der Gerinnungsfaktor VIII, wird eine Hemmkörperbildung vermieden.

Die Nicht-Faktor-basierte Therapie dient wie die Faktor-Therapie der Prophylaxe und soll Blutungen vorbeugen. Wegen der langen Halbwertszeit des Wirkstoffs sind die Spritzenintervalle bei der Nicht-Faktor-basierten Therapie deutlich größer. In den ersten vier Wochen wird das Medikament wöchentlich gespritzt, danach alle zwei oder alle vier Wochen. Die Dosis wird an den Zeitabstand entsprechend angepasst.

Auch, wenn die Anwendung leichter ist, gibt es im Alltag einige Dinge zu beachten. So muss auch dieses Medikament gekühlt werden – auch unterwegs und auf Reisen. Wichtig zu wissen ist ebenso, dass das Medikament für eine Nicht-Faktor-basierte Therapie das Ergebnis eines Gerinnungstests verfälschen kann. Informieren Sie Ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte deshalb darüber, welches Medikament Sie für die Hämophilie-Behandlung verwenden.

Vor- und Nachteile einer Nicht-Faktor-basierten Therapie

Dass der Wirkstoff subkutan injiziert wird und seltener gespritzt werden muss, stellt für die Patienten eine Erleichterung im Vergleich zur intravenösen Prophylaxe-Therapie dar.

Die Nicht-Faktor-basierte Therapie kann Blutungen wirksam reduzieren, jedoch ebenfalls nicht vollständig vermeiden [16-18]. Das bei der Nicht-Faktor-basierten Therapie eingesetzte Medikament eignet sich zudem nicht zur Behandlung akuter Blutungen. Deshalb müssen die Patienten nicht nur immer ein individuell passendes Faktor-Medikament im Kühlschrank haben, sondern auch wissen, wie man dieses im Bedarfsfall richtig anwendet. Wie bei der Prophylaxe mit einem Faktor-Präparat erfordert auch diese Therapieform regelmäßige ärztliche Untersuchungen. Weil diese Behandlungsform noch recht neu ist, gibt es bisher noch keine Erkenntnisse zu Langzeitnebenwirkungen und Langzeiteffekten auf die Gelenkgesundheit.

Quellen

[1] https://www.dhg.de/behandlung/therapieprinzipien/haemophilie.html
[2] Witmer C & Young G. Ther Adv Hematol 2013; 4: 59–72
[3] Mahlangu J. et al. Emicizumab Prophylaxis in Patients Who Have Hemophilia A without Inhibitors. N Engl J Med 2018;379:9.
[4] Srivastava A et al. Guidelines for the management of Hemophilia. Haemophilia 2013;19(1):e1-47.
[5] Alliance for Regenerative Medicine. Getting ready: Recommendations for Timely Access to Advanced Therapy Medicinal Products (ATMPs) in Europe. Available at: Last Accessed September 2021
[6] European Medicines Agency. European Medicines Agency recommends first gene therapy for approval. Available at: https://www.ema.europa.eu/en/news/european-medicines-agency-recommends-first-gene-therapy-approval. Last Accessed September 2021
[7] Dunbar C. et al. Gene therapy comes of age. Science. 2018;359:6372
[8] Genetics Home Reference. How does gene therapy work?. Available at: https://ghr.nlm.nih.gov/primer/therapy/procedures. Last Accessed September 2021
[9] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7184858/
[10] Rangarajan S, et al. N Engl J Med. 2017;377(26):2519–2530.
[11] Pasi KJ, et al. N Engl J Med. 2020;382(1):29–40.
[12] 17. Ozelo MC et al. N Engl J Med 2022;386(11):1013–1025. 20. Doshi BS et al. Gene therapy forhemophilia: what does the future hold? Ther Adv Hematol 2018;9:273–93
[13] Pasi KJ, Laffan M. Rangarajan S et al. Persistence of haemostatic response following gene therapy with valoctocogene roxaparvovec in severe haemophilia A. Haemophilia. 2021;1-10. https://doi.org/10.1111/hae.14391
[14] Mahlangu, J et al. Vortrag beim GTH 2023. Abstract verfügbar in: Hämostaseologie 2023;43:S96-S96.
[15]Oldenburg, J et al. Emicizumab Prophylaxis in Hemophilia A with Inhibitors N Engl J Med 2017; 377:809-818
[16] Srivastava A et al. Haemophilia 2020;26 Suppl 6:1-158.
[17] Aledort L, et al. Blood Transfus 2019;17:479–486.
[18] Mannucci PM. Haematologica 2020;105:545–553.
[19] Symington E. et all, Seven-year follow-up of valoctocogene roxaparvovec gene therapy for hemophilia, präsentiert beim EAHAD Kongress 6-9 Februar 2024